Die verborgene Dimension
von: Manolo De Giorgi
In regelmäßigen Abständen kommt mir eine bedeutsame Bemerkung von Enzo Mari aus einem Gespräch vor einigen Jahren in den Sinn.
In regelmäßigen Abständen kommt mir eine bedeutsame Bemerkung von Enzo Mari aus einem Gespräch vor einigen Jahren in den Sinn. Wir sprachen darüber – während wir die Vergangenheit Revue passieren ließen – was rückblickend der Beitrag der einzelnen Unternehmen zum Erfolg des italienischen Designs gewesen war. In seiner radikalen Art wies mich Mari darauf hin, dass es nicht wahr sei, dass italienische Produkte industriell seien. Vielmehr seien sie seit jeher „als industrielle Produkte konzipiert, aber handwerklich hergestellt“ worden. Diese subtile und entmystifizierende Erkenntnis kam zu einem Zeitpunkt, als die Wirklichkeit schon viel zu lange Zeit von einem Schleier verhüllt war und man die Betonung schon lange auf eine scheinbar industrielle Konzeption gelegt hatte. Diese Illusion verschleierte eine Realität, die sich gut versteckt an ganz anderen Orten verbarg. Über Jahrzehnte hatte man versucht, das Handwerk aus dem Blickfeld zu nehmen. Das erreichte man, indem man die Angelegenheit in erster Linie als Frage der Kennzahlen behandelte. Große oder mittelgroße Serienproduktionen galten als industriell, geringe Stückzahlen wurden dem Handwerk zugerechnet. Es war offensichtlich, dass – gemessen an diesem Parameter – das Handwerk praktisch nicht mehr vorhanden schien. Als überholter, nicht mehr zeitgemäßer Zugang, im Gegensatz zur Serienfertigung und Massenproduktion, die endlich den Weg zu größeren Märkten öffnen würden. Dabei zeigte jedoch niemand Interesse dafür, hinter die Kulissen dieser Fertigungsmaschinerie zu blicken und genau zu durchleuchten, was in Italien im Zuge der einzelnen Zwischenschritte konkret geschah. Etwa um herauszufinden, wie viel die Maschinen tatsächlich leisteten und wie groß im Gegensatz dazu der Beitrag der Facharbeiter (oder modernen Handwerker) im Rahmen der kontinuierlichen Anpassung und qualitativen Nachbearbeitung war. Viel lieber sprach man in der Welt des Designs von Entwürfen, von Designkultur und deren Akteuren/Designern. Man konzentrierte sich allein auf das „High Level“ der Disziplin und deren kulturellen Beitrag für die italienische Gesellschaft. Gleichzeitig leistete das Qualitätshandwerk in der Produktion weiterhin seine unabdingbaren Dienste und ermöglichte die Umsetzung anspruchsvollster Aufträge und unmöglichsten Anpassungen, die von den Designern unter dem Deckmantel eines sogenannten „industriellen“ Zugangs gefordert wurden. All das änderte sich mit der Wende des 21. Jahrhunderts grundlegend. In der nunmehr globalisierten Welt, mit ihren neuen Akteuren und neuen, aufstrebenden Schauplätzen, war Industriekultur universell zugänglich und ihre Technologie in vereinfachter und abgeflachter Form auf allen Breitengraden der Welt verfügbar. Zur selben Zeit beschränkte sich die Designkultur in einer übersättigten Welt ohne neue funktionelle Anforderungen (oder zumindest einer Welt, in der das Angebot an Designprodukten die Nachfrage überstieg) auf „banale“ Projekte, deren Innovation in kontinuierlichen, doch minimalen Schritten vorwärts bestand. Beide Entwicklungen ebneten dem Design praktisch eine „Autobahn“ in Richtung Vereinfachung, führten allerdings zugleich zur Verbreitung bedenklich homogener Produkte. Was von all dem jedoch unberührt zu bleiben schien, war das Qualitätshandwerk, das in der industriellen Verarbeitung weiterhin seinen Platz hatte. Dort war es nach wie vor der einzelne Handwerker, der Entscheidendes bewegen konnte, indem er noch weitgehend unbekannte Lösungsansätze und sein manuelles Geschick einbrachte. Beides begann nun wieder verstärkt eine Rolle zu spielen – als Faktor, der den entscheidenden Unterschied ausmachen konnte und als antikes, bisher verborgenes Erbe. Als dann bei einigen Produkten im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts die industriellen Verkaufszahlen einiger Unternehmen soweit zurückgegangen waren, dass sie sich auf ein paar Dutzend beliefen, wurde auch die Zahlenfrage relativ. Zugleich war die Bedeutung der Rolle des Handwerkers wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.
Die zentrale Frage lautet damit: Wer betreibt heute Forschung? Wer beschäftigt sich mit Komplexität?
Die Mega-Marken, die zu Beginn des Jahrhunderts entstanden, hatten andere Sorgen. Sie wurden gegründet, weil man das Kapitel „Vertrieb“ in der Designbranche in Ordnung bringen wollte, jene 40 oder 50 %, die mit der Öffnung des globalen Markts besondere Probleme oder auch Gelegenheiten boten. Ihr Zusammenschluss erfolgte jedenfalls bestimmt nicht, um gezielt produktorientierte Forschung zu betreiben. Die Vorteile der Massenproduktion machten Markenidentität und Rationalisierung zum zentralen Thema der neuen Strukturen. Doch das Produkt, das aus dieser Konzentration der Marken entstand, erinnerte unweigerlich an Erzeugnisse aus dem Objektbereich. Ideal für Großlieferungen, nicht schön und nicht hässlich, warenkundlich betrachtet einwandfrei, das ja, aber auch platt genug, um unberechenbare Ausreißer zu vermeiden: Erfolg durch eine Art „nicht näher bestimmtes Qualitätsprodukt“. Um all dem zu entkommen, blieb noch der Handwerker. Er war der einzige, der mit seiner einfachen und flexiblen Herangehensweise nach wie vor Qualität und Einzigartigkeit sowie Just-in-Time-Produktion zu gemäßigten Kosten bieten konnte. Hier war noch Raum für Fehler wie auch Projekte, die zu keinem nachhaltigen Abschluss gebracht werden konnten. Zugleich erforderte diese Experimentierphase keine übertriebenen Investitionen – in einer Marktsituation, die in den vergangenen zehn Jahren bereits relativ schwierig geworden war. Der Handwerker war der einzige, der sich noch auf gewisse „unvernünftige“ Herausforderungen einlassen konnte, die eventuell auch aus abgelegenen Orten in fernen Schwellenländern kamen. Er konnte sie ein erstes Mal umsetzen und vielleicht wenig später mit einer minimalen Abänderung reproduzieren. Alternativ konnte er sich auch auf Einzelstücke und Maßarbeiten konzentrieren, wo Prototyp und fertiges Produkt bei einer Auflage von einem Stück dasselbe waren und meist einen hohen Grad an Komplexität aufwiesen. In all diesen Bereichen präsentierte sich Italien überaus fortschrittlich, ganz im Sinne Luigi Pasinettis, der festhielt: „Der Reichtum einer Industrienation ist etwas völlig anderes als der Reichtum vorindustrieller Nationen, oder besser gesagt, er geht darüber hinaus. Er besteht weniger im Reichtum der Güter, die sie besitzt, als vielmehr in den technischen Fähigkeiten, diese zu produzieren“ (1). Aus einer anderen Perspektive, jener der Kunstkritik, beobachtete dies während der Zeit der großen industriellen Expansion Ende der siebziger Jahre auch Pierre Restany. Er erkannte die Bedeutung dieser handwerklichen Kompetenz und hielt fest, dass es den Italienern gelungen war, zu perfekten „Kunsttischlern für Kunststoffe“ zu werden, die die „Intelligenz des Materials“ begriffen hatten. Eine Feststellung, die sich später auch in Bezug auf alle weiteren neuen Werkstoffe würde treffen lassen, die nach und nach folgten. Jeder Form der technischen Innovation konnte stets auch aus der Perspektive eines Kunsttischlers begegnet werden. Es genügte, bestimmte Schritte der Produktion auszugliedern, damit diese oder jene Phase des Projekts auf bestmögliche Weise durchgeführt wurde, um sie anschließend in die nachfolgenden Phasen der Fertigungskette zu schicken. Das Ergebnis war eine Fertigungsstraße mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in den einzelnen Phasen, die es jedoch ermöglichte, auf quasi natürliche Weise vom einen in den anderen Verarbeitungsbereich zu wechseln. Wie beim Schneiden eines Films gelang es so, unterschiedliche „Szenen“ miteinander zu verbinden, deren Beziehungen und Berührungspunkte auf einem gemeinsamen Qualitätsprinzip beruhten.
Für die analytische Betrachtung der Designkultur von Foscarini konzentrieren wir uns hier auf drei schlanke Produktionsbetriebe, die für drei verschiedene Formen von Materialkultur stehen.
Diese Unternehmen folgen heute eindeutig den Entwicklungen der modernen Projektkultur. Entwicklungen, die eine kontinuierliche Veränderung des Materials mit sich bringen, wobei sich insbesondere dessen Anwendungsbereiche verlagern – als ob das Material selbst im neuen Jahrhundert eine zweite Bedeutung erlangen würde. Dieses Material ist kein Material mehr, sondern ein Werkstoff, der durch industrielle Bearbeitung verändert wurde. Diese liefert uns ein Sekundärprodukt, in gewisser Art ein Hybrid, eine Halbfertigware, die sich immer noch weiter in etwas anderes umwandeln lässt. Aufgrund dessen beständiger Transformation wird die Qualität dieses Produkts nicht mehr durch seine Substanz bestimmt, sondern durch die Möglichkeiten und die Vielseitigkeit, die es bietet und die im Idealfall auf der Kombination von Widerstandsfähigkeit + Leichtigkeit + Elastizität beruhen. Crea, Vetrofond und Faps sind die drei Unternehmen, um die es hier gehen soll. Sie zählen 7, 47 und 35 Mitarbeiter, hinzu kommen deren Eigentümer – einer, maximal zwei pro Unternehmen. Zement, Glas und Kohlenstoff-Faser sind ihre Werkstoffe. Sie zeigen, wie Material im 21. Jahrhundert eine neue Bedeutung erhält, begleitet von einer entsprechenden Phase der Umstellung und Neupositionierung der Industrie. Das Jahr 1945 ist lange vorbei und die Art der Umstellung ist daher nicht jene von Iso, wo man von Kesseln zu Motorrädern wechselte, und auch nicht jene von Piaggio, das von der Schalenverkleidung der Bomber auf Motorroller umschwenkte. Es geht um einen Weg, das Produktionskonzept des Unternehmens neu zu denken, das sich infolge der Umbrüche auf dem Markt im Laufe der vergangenen fünfzehn Jahre entwickelt hat. Es geht um einen Wechsel der Perspektive innerhalb des eigenen Tätigkeitsbereichs. Aber auch wenn zum Zweck dieser Umstellung ein Perspektivenwechsel erfolgt, bleibt das Thema „industrielles Handwerk“ aktuell, da auch der entscheidende Akteur – eine geradezu klassische Figur in der italienischen Designbranche – derselbe bleibt. Es ist dies die vielseitige Figur des Arbeiters/Handwerkers, des Eigentümers/Designers, des Herstellers/Verlegers, die erneut die Bühne betritt. Es ist typisch italienisch, eine Art universellen „Problemlöser“ für das gesamte Feld zu erfinden, der zugleich die Bereiche Technik und Design, Detail und Leistung, qualitativ starke Zulieferung und Konzentration unterschiedlicher Verarbeitungen abdeckt. Es sind diese Schlüsselfiguren, die in unserer Geschichte eine zentrale Rolle spielen. Wie etwa Natale Cappellaro, Arbeiter bei Olivetti, der zu Beginn als Monteur für die Schreibmaschine MP1 tätig ist und später als Entwickler die revolutionären Multifunktionsrechenmaschinen entwirft. Oder Ingenieur Carlo Barassi, der während des Zweiten Weltkriegs mit Schaumgummi-Protektoren für Bombertanks beginnt und dann mit Arflex zunächst neue Autositze aus Elastomeren und schließlich Polstermöbel fertigt. Oder auch wie Enrico Garbarino, der sich von Ettore Sottsass überzeugen lässt, die Produktion von „falschen“ Oberflächen aus Laminat zu wagen, Sperrholz- und Spanplatten mit Melaminharz kombiniert und so Abet Print begründet. Mit seiner Entscheidung, auf Crea, Vetrofond und Faps zu setzen, beweist Foscarini seinen Glauben an dieses Konzept.
Crea wurde von Giovanni Piccinelli ins Leben gerufen, der nach seinen Erfahrungen als Betonwerker in der Schweiz – der Heimat des Sichtbetons und dessen raffiniertester Bearbeitungsformen – sein eigenes Unternehmen in Darfo Boario eröffnet. Die Produktion konzentriert sich zunächst auf Bauteile und Baukomponenten aus Beton, bis Ende der neunziger Jahre die Baukrise den Markt erschüttert. Piccinelli steht kurz davor, alles aufzugeben und zum Zeitvertreib Vasen zu fertigen. Doch gerade zu diesem Zeitpunkt beginnen vermehrt Aufträge für die Fertigung von Leuchten und Einrichtungsgegenständen für den Außenbereich einzutrudeln. Bei kleineren Produkten sind auch die Risiken geringer, denkt Piccinelli, und nimmt die Herausforderung an. Dank seiner Erfahrung mit den Schwierigkeiten beim Entformen und mit Problemen bei Hinterschnitten gelingt ihm dieser radikale Wechsel in eine neue „Größenordnung“ ohne größere Mühe. Gleichzeitig bleibt das Unternehmen seiner Tradition im Bereich der Betonbauteile treu, verlagert die laufende Produktion von Schwellen, Randsteinen und Balustraden allerdings hin zu Spezialaufträgen nach Maß. Für Vittorio Moretti und seine von Mario Botta in Suvereto entworfenen Kellerei Petra wagt Piccinelli zudem ein Hasardeurspiel: Er stellt sich der Herausforderung, 200 Stahlsäulen zu verkleiden. Seine 200 gerippten Betonummantelungen mit jeweils 3,8 Metern Höhe und 1,5 Tonnen Gewicht sind ein eindrucksvolles Beispiel für das Design von Bauteilen. Mit einem scheinbar unmöglichen Projekt – der Leuchte Aplomb mit ihrem Schirm aus Zement, entworfen von Lucidi e Pevere – beginnt schließlich auch die Zusammenarbeit mit Foscarini. Bis dahin hatte Crea seine Gussformen bei einem Formenbauer aus dem Raum Bergamo in Auftrag gegeben. Doch für diesen Zulieferer bedeutete eine so kleine und zarte Form wie der kegelförmige Schirm von Aplomb in erster Linie einen lästigen Mehraufwand. Als der Formenbauer dann seine baldige Pensionierung ankündigt, befindet Piccinelli, dass es das Fertigungsverfahren wesentlich vereinfachen würde, wenn er sich die für den Formenbau notwendigen Techniken zu eigen machte. Und das tut er. Da es zu viele Ungewissheiten mit sich bringt, für eine so spezielle Projektphase von einem Zulieferer abhängig zu sein, lernt Picinelli selbst Gussformen herzustellen – in jener Halle des Unternehmens, in der auch die Formen aus Gummi und Silikon gefertigt werden. Ausschlaggebend dafür sind weniger die Kosten für eine Form (zwischen 600 und 700 Euro), als vielmehr der Zeitverlust und der Nachteil, die Entwicklung des Projekts nicht „im Haus“ mitverfolgen zu können. Da es sich um ein Produkt handelt, das kontinuierlich überarbeitet wird und dessen Fertigung zum Teil viel Zeit erfordert, ist es besser, unmittelbaren Zugriff darauf zu haben.
Tatsächlich bedarf es zwischen 200 und 300 Probeleuchten, bevor man die endgültige Lösung für Aplomb findet.
Doch während man zu Beginn für die Leuchte mit etwa fünf Formen arbeitet, sind es heute etwa 45. In dem kleinen 7-Mann-Betrieb sind drei Arbeiter für die Fertigung von Aplomb zuständig (Vasile, Radu und Mamadou). Zwei von ihnen übernehmen das Gießen, einer die Feinbearbeitung. Die Arbeiter kümmern sich um das Gießen und die darauffolgenden Schritte, doch an der Prototypenentwicklung sind sie nicht beteiligt. Es sind Giovanni Piccinellis Söhne Ottavio (Produktion) und Carlo (Entwicklung und Vertrieb), mit denen der schwierige Wechsel zur Fertigung von Haushaltsgegenständen beginnt. Vor allem das Sandstrahlen erfordert besondere Sorgfalt, um eine kontrollierte Unregelmäßigkeit der Kornverteilung und der offenen Poren im Zement des Schirms zu erzielen. Auf dieses Detail nehmen die Arbeiter zu Beginn wenig Rücksicht und betrachten den Vorgang als Zeitverschwendung. Ottavio beschließt daher, die drei für die Leuchte zuständigen Arbeiter auf die Mailänder Möbelmesse mitzunehmen. Sie sollen verstehen, dass diese Objekte für Wohnräume bestimmt sind, und für eine Welt, in der Feinbearbeitungen eine gänzlich andere Bedeutung zukommt. Auf diesem Weg erkennen sie, dass es wichtig ist, vor dem Sandstrahlen die Kanten der schmalen und der breiten Seite des Kegels von Hand mit dem Schlauch zu bearbeiten. Ein Arbeitsschritt, der nötig ist, um die Gießspuren zu entfernen. Ist alles erledigt, wird das Werkstück nach Aufbringen einer wasserabweisenden Beschichtung und nach erfolgreicher Qualitätskontrolle durch Foscarini nach Pordenone geschickt, wo die Leuchten elektrifiziert und in Folge zurück nach Marcon geliefert werden. Natürlich musste sich Piccinelli an diese neue Welt erst gewöhnen, in der Qualitätskontrollen etwa zweimal pro Monat mittels exakter Messungen durchgeführt werden. Und das mit Kontrollmaßen für Zementstärken, die nichts mit jenen von früher zu tun haben, als die Toleranz nach dem Entformen der Bauteile zum Teil mehrere Zentimeter betrug. Die aktuelle Entwicklung in Richtung einer Miniaturisierung von Zementerzeugnissen zeigt sich damit auch in den Stifthaltern, Vorhangstangen und Armaturen, die Crea produziert und mit denen das Unternehmen dem „Wandel“ des Materials optimal Rechnung trägt.
Giancarlo Moretti, einer der beiden Eigentümer von Vetrofond, räumt zwar ein, alle Formen der Glasbearbeitung zu beherrschen, sieht sich selbst allerdings als Spezialist der so genannten Zanfirico-Technik. Bei diesem Verfahren werden im Ofen mehrere Plättchen zugleich erhitzt und anschließend zu einem Spiralmuster gedreht. Dennoch kommen zu ihm nach Casale sul Sile im Grunde „alle zum Glasblasen“. So wendet sich etwa auch das renommierte Label Louis Poulsen an Vetrofond, wenn es zeitweilig von Metallblech und Acrylkugeln absieht, um die Deckenleuchten von Arne Jacobsen oder die Reflektoren von Verner Panton mit Glas zu gestalten. Um das Glas blasen und dekorieren zu lassen, blickt man hier lieber nach Venetien als nach Deutschland/Böhmen. Auch die Zusammenarbeit von Vetrofond und Foscarini läuft bereits viele Jahre und spiegelt sich im Umsatz des Unternehmens mit gewichtigen 20 % wieder. Die Glasbläser kommen dabei ausnahmslos aus Italien und ihre Ausbildung ist lang. Mindestens fünf Jahre dauert es, einen Glasbläser auszubilden. Die Arbeit erfolgt dann in Teams von drei bis fünf Arbeitern, die sich auf die Modelle eines bestimmten Herstellers spezialisieren, wobei im Fall von Foscarini die Fertigung durch zwei Teams erfolgt. In diesem Fall wechseln sich alle fünf Mitglieder eines Teams beim Glasblasen und in der Nachbearbeitung ab. Nachdem mit dem Rohr die „Pea“, die birnenförmige Kugel, aufgenommen wurde, wird die Glasmasse geblasen und in eine Form eingepasst. Dieser Vorgang erfolgt von Hand – maschinell ist hier fast nichts möglich. Im Fall der Leuchte Rituals von Ludovica und Roberto Palomba dauert der Blasvorgang etwa drei Minuten, die anschließende Feinbearbeitung ungefähr zehn. Um die besondere gipsähnliche Oberfläche zu erhalten, die die unregelmäßigen Rillen so schön zur Geltung bringt, wird die Leuchte zunächst außen matt geschliffen und dann weiter bearbeitet. Auf diesem Weg werden unschöne Flecken vermieden und die Oberfläche wird gleichmäßig weiß. Nur so kann ein ähnlich warmer Farbton erzielt werden wie bei Reispapier (etwa wie bei den Leuchten von Isamu Noguchi), der in überraschendem Kontrast zu dem für Glas so typischen reflektierenden Glanz steht. Eine andere Möglichkeit, um die Wirkung von Glas zu beeinflussen, besteht in der Verwendung von matten Farben, die stärker mit den Farbtönen der Umgebung verschmelzen. Bei der Leuchtenserie Buds von Rodolfo Dordoni wird der Glanzeffekt von Glas etwa durch die Verwendung von Grün-, Grau- und Brauntönen gedämpft. Kühle Farben, bei denen die exakte Dosierung der zuzusetzenden eisenoxidhaltigen Mineralien überaus schwierig ist. Jede von Foscarini veranlasste Schmelzprobe – deren Zusammensetzung jeweils streng geheim gehalten wird – ist eine komplexe Angelegenheit und bringt für Moretti relativ hohe Kosten mit sich. Man bedenke nur „die 100 Kilo Material und die Kosten für das Gas, die Arbeitskraft und den Produktionsausfall“. Doch auch wenn er dabei die Nase rümpft, ist Moretti anzusehen, dass ihn diese Herausforderung reizt.
Crea und Vetrofond gelingt damit eine Innovation hinsichtlich der Verwendung ihrer Werkstoffe, die in erster Linie in einer Umkehrung deren optisch-technischer Wirkung besteht.
Zement soll „häuslich“ werden und seine brutalistische Konnotation verlieren. Und geblasenes Glas soll sein glitzerndes, exklusives Flair aufgeben und sich möglichst unauffällig in die Farblandschaft der Standard-Einrichtung einfügen. Das Ergebnis ist eine gänzlich andere Wahrnehmung des Materials.
Das dritte Unternehmen, Faps, ist hingegen ein interessantes Beispiel für die Erschließung eines neuen innovativen Werkstoffs, der im Wohnbereich bisher kaum Verwendung fand: Kohlenstoff-Faser. Mit ihm stellt das Unternehmen zugleich sein Kerngeschäft um, das sich ursprünglich auf die Fertigung von leistungsstarken Angelruten konzentrierte. Der Unternehmenstradition im Bereich Verbundstoffe treu ergänzt Faps sein Angebot an Erzeugnissen aus glasfaserverstärktem Kunststoff und Glasfaser damit nun auch um Produkte aus den neuen Kohlenstoff-Fasern. Für den Eigentümer von Faps, Ingenieur Maurizio Onofri, bedeutet dies eine Ausweitung des Warenspektrums auf völlig neue Bereiche, auf Produkte aus den unterschiedlichsten Branchen, in denen leistungsstarke Komponenten mit geringem Gewicht benötigt werden. In Folge werden Walzen für die Industrie und Fahrradgestelle sowie Komponenten für die Schifffahrt – wie Spibäume, Segellatten und Pinnenverlängerungen – in die Produktion aufgenommen, zusätzlich zu den Angelruten, die im Programm bleiben. Reine Glasfaser hatte in der Welt des Designs hingegen seit jeher kaum eine Rolle gespielt (der raffinierte Armstuhl Nena von Richard Sapper für B&B aus dem Jahr 1986 war mit seinem Gestell aus Glasfaser für die Produktion letztlich zu komplex), der Einsatz beschränkte sich praktisch auf einige wenige Sitzmöbelmodelle von Alias. Nun gilt es, die spezifischen Verarbeitungs- und Anwendungsmöglichkeiten des neuen Verbundstoffs für die Designbranche zu entdecken, ohne damit ältere Werkstoffe imitieren zu wollen. Die Leuchtendesigns, die Marc Sadler Foscarini vorschlägt, beinhalten schließlich ein Stehleuchtenmodell, das sich ideal eignet, um die Möglichkeiten von Kombinationen aus Glas- und Kohlenstoff-Faser auszuloten und Faps in die Entwicklung der Leuchte einzubinden. Faps beginnt in Folge an einer wirtschaftlichen Kombination zu arbeiten, bei der die beiden Werkstoffe einander synergetisch ergänzen: Glasfaser ist flexibler, Kohlenstoff punktet dafür mit größerer Festigkeit. Das Geheimnis eines Verbundstoffes liegt dabei stets in der speziellen Mischung der gewählten Fasern und des passenden Kunstharzes bevor das Material im Ofen erhitzt wird. Die Leuchte Tress besticht mit der stoffartigen Struktur der einzelnen Bänder. Fünf verschiedene Arten von Bändern mit unterschiedlichen Breiten bilden, quer übereinandergelegt, den säulenförmigen Korpus der Leuchte. Die Basis und das obere Ende des Schirms über dem Leuchtmittel bestehen unter anderem aus Kohlenstoff-Faser. Die Leuchte Mite präsentiert sich wiederum als zeitgenössischer Luminator, deren unregelmäßige konische Form der Verarbeitung einer Art moderner „Haut“ zu verdanken ist. An der Laminierstation glätten Fausta und Lia das Gewebe aus Glasfasern, das später auf die Form kommt (von ihnen kurz „Haut“ genannt), und sorgen dafür, dass es perfekt am Kalander anliegt.
Eine archaische Geste aus dem Bereich der Hausarbeit, die Fingerspitzengefühl verlangt.
Inmitten der vielen High-Tech-Werkzeugmaschinen sieht man hier eine Tätigkeit, die an die Gesten einer Schneiderin beim Einkleiden einer Braut erinnert. Ein Bild, das uns auch ein Gefühl dafür vermittelt, wie viel Zeit dieser Arbeitsschritt erfordert. Schließlich läuft das lange schwarze Filament aus Kohlenstoff-Faser durch den Wickler und der Korpus der Leuchte ist fertig. Für die Ausführung in Gelb kommt hingegen sensibler, halbfertiger Kevlarfaden zum Einsatz, der jedoch leichter bricht und Schaden nimmt. (Von der Ausführung mit Kohlenstoff-Faser werden jährlich 1.500 Stück verkauft, von jener mit Kevlar etwa 50.) Die mit Kohlenstoff-Faser möglichen Dimensionen wurden mit Twiggy ausgelotet und ausgetestet. Insbesondere der Schaft der auch größentechnisch eindrucksvollen Leuchte stellte eine große technische Herausforderung dar. Der gebogene, elastische Stiel ist aus zwei Teilen zusammengesetzt, um die für die Krümmung notwendigen mechanischen Eigenschaften zu garantieren. Seine Gesamtlänge von 320 Zentimetern erfordert eine Kombination von zwei Elementen: einem steiferen aus Kohlenstoff-Faser für den unteren Abschnitt und einem aus verstärkter Glasfaser für den oberen, plus verstärkende Elementen an der Spitze. An diesem Punkt wurde die Leuchte zunächst mit 9 Kilo belastet, um die allgemeine Widerstandsfähigkeit und Flexibilität des Stiels zu testen – 150 Muster waren nötig, um das passende Schaftmodell zu finden. Die Schirme von Twiggy bestehen hingegen aus mit schwarzem Kunstharz pigmentiertem Glasfasergewebe, wobei die Menge an Kunstharz exakt zu dosieren ist. Gegebenenfalls erfolgt nach dem Erhitzen im Ofen eine entsprechende Reinigung, um einen fleckenfreien Moiré-Effekt zu erhalten. Mit der abschließenden Lackierung, die von Faps intern durchgeführt wird, erhält die Leuchte ihren finalen Look. Ihr Stiel präsentiert sich nun schwarz, schmutzig weiß/grau, karminrot, greige oder indigo. Dank des geringen Gewichts des Verbundstoffes erreicht Twiggy eine Gesamthöhe von 290 Zentimetern, während die Arco-Leuchte von Castiglioni auf 250 Zentimeter beschränkt war. Auch das Gewicht der beiden Leuchten bezeugt den technischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte: 17 Kilo bringt Twiggy auf die Waage, 64 sind es bei Arco.
Die hier beschriebenen Kern-Eigenschaften des industriellen Handwerks sind ebenso neu wie alt.
Foscarini folgt mit seiner Produktkultur heute, mit einem zeitlichen Abstand von fünfzig Jahren, der Tradition von Azucena oder Danese. Zwei Unternehmen, die mit ihrem Zugang gegen den Strom schwammen und damit aus heutiger Sicht zusätzlich an historischer Bedeutung gewinnen. Gegründet in den Jahren 1949 (Azucena) und 1957 (Danese), klammerten sie sich nie an die Idee, die Produktion selbst vor Ort abwickeln zu müssen. Die beiden Verleger/Hersteller arbeiteten bereits mit anderen Firmen in geographisch verstreut gelegenen Industriezentren zusammen, als der Ankauf und die Konzentration von Produktionsmitteln noch der einzige mögliche Weg schien, um in der modernen Welt des Designs mitzumischen. Wendig bewegten sie sich durch das Netz von Industrie und Handwerk und spielten mit dessen Mechanismen. (Weithin bekannt ist etwa der Auftrag von Bruno Danese an einen Hersteller von Kanalrohren, ein graues PP-Rohr im 30°-Winkel zu schneiden und ihm einen Rand zu verpassen – für die Fertigung des Papierkorbs In Attesa von Enzo Mari.) Die Suche nach einem Arbeitsschritt, der für die Serienproduktion genutzt werden kann, ist für Foscarini in gleichem Maße zentral. Ebenso erinnern mich gewisse Klagen der Hersteller über das akribische Streben von Foscarini nach höchsten qualitativen Standards an jene der industriellen Handwerker, die für Danese tätig waren. Bei Danese setzte man allerdings auf eine Politik mit einigen wenigen, „aristokratischen“ Akteuren, auf eine Art kontinuierliche Selbstreflexion in Bezug auf das Projekt (mit Mari, Munari, dem Danese-Duo und sonst niemandem). Foscarini öffnet sich nun hingegen einer Politik mit zahlreichen Akteuren: Tatsächlich arbeitet das Unternehmen für die Entwicklung seiner Produktpalette mit etwa 33 Designern zusammen. Durch diese Vervielfachung der Beiträge verlagert sich auch der Schwerpunkt weg vom Inhalt des Projekts hin zur Art der Produktion, die damit zum entscheidenden Erkennungsmerkmal des Unternehmens wird. Erfolg kann dabei heute laut Andrea Branzi „nur durch die Organisation provisorischer Systeme“ gelingen. Durch intelligente, temporäre Systeme, die „komplexe Strukturen jedweder Art vermeiden“ (2). Provisorisch und von manueller Arbeit geprägt präsentiert sich damit das neo-industrielle Handwerk. Was fasziniert an dieser Art intensiver Forschung, die sich ganz auf das „Tun“ konzentriert, selten linear verläuft und sich kaum programmatisch steuern lässt, ist genau das, was auch die Tätigkeit in einem High-Tech-Raumfahrtlabor kennzeichnet. Es ist das Konzept kontinuierlicher Arbeit, beständiger Weiterentwicklung und tagtäglicher Vervollkommnung, das ein entsprechendes Innovationspotenzial in sich trägt. Bei dem jeder kleine Schritt vorwärts das Ergebnis einer zufälligen Erfolgskombination sein kann, entwickelt in einem Zustand vager Unbewusstheit, die sich aus diesem Hyper-Tun ergibt. Der deutsche Ingenieur Wernher von Braun zählt mit seinen V2-Raketen und später mit dem Raumschiff Saturn V für die NASA, zu den Pionieren der Raumfahrtforschung. Auch er betrachtete Forschung aus demselben Gesichtspunkt wie ein Handwerker und beschrieb sie als etwas „das ich tue, wenn ich nicht weiß, was ich gerade tue.
Manolo De Giorgi
Architekt Manolo De Giorgi führt seit 1989 sein eigenes Büro in Mailand und ist insbesondere im Bereich Umbauten, Innenraumgestaltung und Raumausstattung tätig. Er war Redakteur der Zeitschriften Modo und Domus und kuratierte im Laufe der Zeit folgende Ausstellungen: Techniques Discrètes (1991), 45-63. Un Museo del Design in Italia (1995), Marco Zanuso (1999), Camera con vista. (2007), Olivetti. Una bella Società (2008), sowie Magnificenza e Progetto (2009) einschließlich der zugehörigen Kataloge. Er ist Autor von Carlo Mollino. Interni (Segesta, 2004), Design (Zanichelli, 2007) sowie Enzo Mari (Il Sole/24 Ore, 2011). Seit 2010 untersucht er in Zusammenarbeit mit der Fondazione Bassetti mithilfe neuer Ausdrucksmedien die Beziehungen zwischen Handwerk und Design, wie etwa im Theaterstück Mani grandi senza fine (Piccolo Teatro Mailand, 2011) und im Film Avanti Artigiani (2014).
Note
1. Luigi Pasinetti, Dinamica strutturale e sviluppo economico, Utet, Torino,1984, pp. 314-315 2. Andrea Branzi, Modernità debole e diffusa, Skira, Milano, 2006, pag. 53
Vertiefung