Carlo in Neapel
– BAGNOLI
Ein aufs Meer gebauter Balkon
„Wohnungen müssen wie schützende Höhlen sein. Das ist der Ort, an dem man das Material zusammenträgt, um seine Ideen zu überarbeiten. Ich zeichne, schaffe, bringe Ordnung in meine Eingebungen, in das, was ich gelesen und gesehen habe, was mich berührt hat.“ Carlos Wohnung scheint direkt aufs Wasser gebaut, am Horizont sieht man die Insel Nisidia. „Ich blicke nicht auf die Straße, sondern direkt auf den Golf.“
Die Magna Grecia des dritten Jahrtausends
„Die alten Römer sind immer nach Neapel gekommen, um dort die Griechen, die Weisen zu geben, die Muße zu pflegen und sich von der Natur inspirieren zu lassen, und die Natur, die wir hier haben, hat wirklich etwas Gewaltiges. Ich meine: Hier hat Virgil seine Eklogen geschrieben.“ Carlo hat zwei Hunde, einen Studienabschluss in Betriebswirtschaft und kann auf eine langjährige Karriere als Designer und Grafiker für große Modemarken zurückblicken. „Ich habe zehn Jahre in Mailand gelebt und gearbeitet, das war eine wichtige Zeit für mich, ich durfte für die besten Mode- und Einrichtungsmarken der Welt arbeiten. Als dann 2008 die Krise kam, bin ich zurückgekommen. Zum Glück hatte meine Urgroßmutter vor vielen Jahren einen alten Schuppen in eine Wohnung umgebaut.“ Carlos Wohnung scheint direkt aufs Wasser gebaut, am Horizont sieht man die Insel Nisidia. „Die Wohnung blickt nicht auf die Straße, sondern direkt auf den Golf.“ Carlos Wohnung liegt auf den Phlegräischen Feldern, einem Gebiet, das nicht mehr wirklich Neapel ist, aber auch noch nichts anderes. Ein Gebiet, in dem der Mensch seiner zerstörerischen Kraft freien Lauf gelassen hat – woran auch die Überreste der ehemaligen Industrieanlage Italsider von Bagnoli schmerzhaft erinnern – und dennoch beeindrucken seine Landschaft und Geschichte bis heute. Wir befinden uns unweit von Cumae, der vom Mutterland am weitesten entfernten Kolonie, die von den Griechen je gegründet würde. In Cumae gibt es eine Höhle, die zu den berühmtesten archäologischen Sehenswürdigkeiten der Welt zählt: In der Sibyllengrotte musste Aeneas das Orakel über sein Schicksal befragen. „Die Phlegräischen Felder waren schon immer überaus reich an natürlichen Ressourcen, die Bourbonen haben hier vierundsechzig Thermalwasserquellen gezählt. Als die Arbeiter das Fundament für diese Wohnung legen wollten, gab es Probleme bei den Grabungen, weil vierzig Grad heißes Thermalwasser aus dem Boden schoss, sie haben auch drei römische Goldmünzen gefunden. Wir befinden uns hier im Herzen der Magna Graecia, in Miseno war die Flotte des römischen Reichs stationiert, das war ein wohlhabendes, reiches Gebiet. Die alten Römer kamen nach Neapel, um die Griechen, die Philosophen zu geben und ich glaube, diese Einstellung ist nie ganz verschwunden: Wir haben in Neapel die Eroberer nie fortgejagt, sind ihnen gegenüber aber eher distanziert geblieben, haben uns eher auf unsere eigenen Gedanken, unsere Natur und unsere Geschichte konzentriert und sind den Regeln des neuen Eroberers gegenüber gleichgültig geblieben. Was zugleich eine hervorragende Ausrede ist, um diese Regeln nicht zu befolgen.“ Eine Wohnung mit einem so gewaltigen, so übermächtigen Ausblick kann auch zur Falle werden. Die Wohnung als Welt im Kleinen, die den Versuchungen der echten Welt, der Straße, des Ausgehens ihre Macht raubt. „Wohnungen müssen wie schützende Höhlen sein. Das ist der Ort, an dem man das Material zusammenträgt, um seine Ideen zu überarbeiten. Ich zeichne, schaffe, bringe Ordnung in meine Eingebungen, in das, was ich gelesen und gesehen habe, was mich berührt hat. Von diesem Standpunkt aus ist meine Wohnung perfekt, aber ja, sie kann gefährlich sein, ich bin so gerne hier, dass ich manchmal verleitet bin, gar nicht hinauszugehen. Ich lebe mit zwei Hunden, das sorgt vielleicht für den nötigen Ausgleich, die Hunde müssen raus, sie müssen spüren, dass ich aktiv bin. Hunde sind in gewisser Hinsicht ein Spiegel. Es gibt traurige Momente, in denen du siehst, dass auch deine Hunde traurig sind und dann reißt du dich zusammen, vielleicht mehr ihnen als dir selbst zuliebe.“ Zeichnen, mit den Hunden rausgehen, in der Natur Kraft tanken und sich von ihr inspirieren lassen: die Magna Graecia des dritten Jahrtausends.
HOLEN SIE SICH IHR KOSTENLOSES EXEMPLAR
Zwei Bücher, drei Kontinente, dreizehn Städte, fünfundzwanzig Häuser.
Zwei fotografische Bücher, die von Licht, Menschen und Leben erzählen und eine Reise schildern, die im Jahr 2019 begann und uns an immer unterschiedliche Orte und Breitengrade führte, um ein anderes Licht und damit andere Kulturen des Wohnens zu erleben.